Zahlenspiele
Der aktuelle „Familienreport 2012“ der Bundesregierung ist da! Einige interessante Ergebnisse:
Was verstehen die Deutschen (wer sind denn die Deutschen?) heute unter einer Familie?
Immerhin 42% halten homosexuelle Paare mit Kindern für eine Familie. Unverheirateten Heteropaaren mit Kindern wird von 71% dieser Titel zuerkannt. D.h. im Umkehrschluss, dass 58% der Deutschen (ihr wisst schon, also der Deutschen) Regenbogenfamilien nicht als Familien ansehen und 29% finden, dass nicht verheiratete Heteropaare mit Kindern keine Familie sind. Ist doch recht aufschlussreich, oder?
Dann kommt die Frage, wie Kinder aufwachsen.
Es gibt in Deutschland 5,7 Millionen Ehepaare mit Kindern, 1,6 Millionen Alleinerziehende und 739 000 unverheiratete Paare mit Kindern. Und dann haben wir noch die homosexuellen Lebensgemeinschaften mit Kindern. Davon gibt es laut Grafik 4.000 – beinahe zu vernachlässigen. Viertausend?
Die Zahlen des Familienreports basieren auf dem Mikrozensus 2011. Wie kommt der Mikrozensus, ein seit 1957 gesetzlich vorgeschriebenes Statistikinstrument, zu seinen Daten? Nach einem mathematischen Zufallsverfahren werden Gebäude- und Gebäudeteile ausgewählt. Alle Personen, die in den ausgewählten Gebäuden oder Gebäudeteilen wohnen, werden befragt. Es handelt sich dabei um ein Prozent aller Haushalte, im Gegensatz zum Zensus, bei dem zehn Prozent aller Haushalte befragt werden.
Die Schätzung der Anzahl der Regenbogenfamilien-Kinder im Mikrozensus unterliegt großen Schwankungen, der höchste Wert lag 2003 bei 12.800 Kindern. Nach Angabe des Mikrozensus 2007 leben in der BRD 68.400 gleichgeschlechtliche Paare in einem gemeinsamen Haushalt, in dem ca. 7.300 Kinder aufwachsen. Diese Zahl erscheint sehr gering gegenüber der Schätzung von Krüger-Lebus und Rauchfleisch, dass ca. 2 Millionen Lesben in Deutschland leben und davon 650.000 lesbische Mütter sind (aus: Lesbische Eltern in NRW. Eine Expertise zur Situation und Bedarfen von lesbischen Eltern in NRW 2010, LAG Lesben in NRW e.V., erstellt von Michaela Herbertz-Floßdorf, zum Download).
Es sollen also nur 4.000 gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern (der Statistik nach mit etwa 5.000 bis 6.000 Kindern) in Deutschland leben. Demgegenüber korrigiert Bernd Eggen im Band „Die gleichgeschlechtliche Familie mit Kindern“ von Dorett Funcke und Petra Thorn die Zahlen nach oben. Nachdem verschiedene Untergruppen, wie z.B. alleinerziehende homosexuelle Eltern nicht vertreten sind, spricht er von 18.000 bis 21.000 Kindern, die in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften aufwachsen. Wichtig wäre dabei noch: In all den abgefragten Familien- und Herkunftskategorien sind unsere Kinder dabei, sei es beim Thema Migrationshintergrund, Alleinerziehen oder Patchworksituation – doch häufig bleiben sie unsichtbar.
Beobachte ich den lesbischen Babyboom in Deutschland, halte ich die oben genannten Zahlen auch für zu niedrig – wir werden sehen, welche Zahlenspiele uns der nächste Familienreport präsentiert.
Nochmal zurück: Wie kommen die Menschen aus dem Statistischen Bundesamt auf ihre Zahlen? Wer erzählt bei einem Mikrozensus frei heraus vom eigenen lesbischen oder schwulen Lebensentwurf? Auch wenn ich den Begriff fragwürdig finde: Die so genannte Dunkelziffer ist in dieser Frage äußerst hoch einzuschätzen. In einem Land, in dem mit „Rosa Listen“ operiert wurde, um Homosexuelle zu kriminalisieren, dürfte die Bereitschaft, seine Lebensform in einer Volkszählung zu veröffentlichen, verschwindend gering sein. Eltern wollen nicht nur sich, sondern auch ihre Kinder schützen. Wie ernst lassen sich dann diese Zahlen überhaupt nehmen? Es bleibt ein Dilemma: Sichtbarkeit versus Schutz.
Um diesen Artikel schlussendlich doch noch positiv enden zu lassen: Dass Regenbogenfamilien überhaupt in einer Grafik der Bundesregierung vorkommen, ist als Fortschritt zu sehen – wurde diese Familienform z.B. im Jahr 2000 noch gar nicht abgefragt.
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