Vater, Erzeuger, Spender?
Dieser Tage (Andreas Bernard von der Süddeutschen Zeitung schrieb dazu in der Ausgabe vom 2./3.2.2013, leider nicht uneingeschränkt online verfügbar) wird am Oberlandesgericht Hamm/Westfalen ein interessanter Fall verhandelt. Eine junge Frau, die 22-jährige Sarah P., möchte einen Reproduktionsmediziner gerichtlich dazu zwingen, die Identität des anonymen Samenspenders preiszugeben, mit dessen Samen sie gezeugt wurde. Angeklagt ist Thomas Katzorke, der seit 35 Jahren das Essener Zentrum für Reproduktionsmedizin, die älteste Samenbank Deutschlands, betreibt.
Sarahs Mutter hat ihrer Tochter vor vier Jahren eröffnet, dass ihr Vater nicht ihr leiblicher Vater ist, sondern dass sie mit Hilfe einer anonymen Samenspende entstanden ist . Seither ist Sarah auf der Suche – auf der Suche nach ihrer Identität.
Es deutet sich an, dass der Fall nicht so einfach zu klären ist. Es gibt viele Beteiligte, viele sich widersprechende Interessen und oben drüber steht ein großes Tabu: Unfruchtbarkeit.
Zählen wir doch zuallererst die Beteiligten auf und versuchen, die Interessenlage zu klären: Auf der einen Seite steht ein Paar, Frau und Mann, die sich ein Kind wünschen. Leider will es einfach nicht klappen, und so wendet sich das Paar an eine Praxis für Reproduktionsmedizin. Da kommt der Arzt ins Spiel. Er hilft Paaren bzw. Frauen, ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Es gibt allerdings noch mehr Stühle zu vergeben in dieser komplexen Situation. Ein junger Mann geht regelmäßig zur Samenbank und spendet. Da ihm absolute Anonymität zugesichert wird, macht er sich keine Sorgen um mögliche Unterhaltsforderungen. Da ist die Mutter, die all die Jahre ihre Tochter im Glauben gelassen hat, ihr sozialer Vater sei auch ihr biologischer. Warum verschweigt sie ihrer Tochter diese wichtige Information 18 Jahre lang? Deshalb gehört dem (vielleicht) unfruchtbaren Vater von Sarah ein weiterer Platz in dieser Geschichte. Denn in den späten 80er Jahren waren ungewollte Kinderlosigkeit und Fruchtbarkeitsprobleme noch ein völliges Tabu. Wer kein Kind zeugen kann, ist kein richtiger Mann. Darüber reden – Fehlanzeige.
Schließlich ist dann noch die Gesetzeslage genauer zu betrachten, die dazu führt, dass sich Samenbanken in einer rechtlichen Grauzone bewegen, weil das Sorge- und Unterhaltsrecht bei Kindern, die mit Hilfe von Samenbanken gezeugt wurden, nicht eindeutig geklärt sind. Dies liegt unter anderem daran, dass im Embryonenschutzgesetz von 1991 die Insemination mit anonymen Spendersamen nicht geregelt bzw. nicht erwähnt ist – obwohl Samenbanken bereits seit den 70er Jahren bestehen. Völlige Rechtssicherheit besteht für einen Spender deshalb nur dann, wenn er anonym bleibt. Dies steht wiederum im Widerspruch zur UN-Kinderrechtskonvention von 1989, nach der ein Kind ein Recht auf Kenntnis seiner Abstammung hat.
In dieser Gemengelage steht die junge Frau Sarah, die einmal „diesem Menschen gegenübersitzen will, der zur Hälfte für ihr Aussehen, ihre Bewegungen und ihre Talente verantwortlich ist.“
Wir wissen nicht, warum Sarah erst mit 18 Jahren die Wahrheit über ihre Entstehungsgeschichte erfuhr. Wollte die Mutter den Vater schützen, der sich möglicherweise schämte, nicht der leibliche Vater von Sarah zu sein? Dachte die Mutter, es wäre für Sarah einfacher mit dieser Information umzugehen, wenn sie schon erwachsen ist? Dabei ist doch genau das Gegenteil der Fall: Kinder können mit identitätsrelevanten Fakten am besten umgehen, wenn sie von Anfang an Bescheid wissen und wenn die Eltern ihnen selbstbewusst davon erzählen können. Kinder spüren, wenn sie gewollt sind und geliebt werden, unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte. Für die Identitätsbildung eines Menschen ist diese Gewissheit essentiell.
Oben genannter SZ-Autor Andreas Bernard sieht dies allerdings anders. Für ihn ist die Biologie das Wichtigste. Er schreibt: „Die unbekannte biologische Herkunft lässt für viele „Spenderkinder“ dauerhaft keine stabile Identitätsfindung mehr zu. Was diese Haltlosigkeit besonders verstärkt, ist die Ahnung, auf völlig willkürliche Weise Teil einer Familie geworden zu sein. Kinder, die auf natürlichem Wege gezeugt werden, können bereits aus dem Wissen, der sexuellen Vereinigung ihrer Eltern zu entstammen, ein Maß an innerer Orientierung ziehen.“
Hier muss ich vehement widersprechen: Das Problem besteht nicht in der nicht-sexuellen Zeugung, sondern in der mangelnden Kommunikation über den Ursprung des Kindes. Sarahs Mutter bzw. Sarahs Eltern wollten dieses Kind, es ist ziemlich sicher in eine Atmosphäre hineingeboren worden, in der es willkommen war. Wieviele Kinder entstehen aus einer „sexuellen Vereinigung“ und kommen als nicht gewollte Kinder zur Welt? Solche Verschwurbelungen, wie sie der Autor hier vorträgt, die Identität einer Person auf den Zeugungsakt zu reduzieren, verschlimmern die Situation, die hier angesprochen wird. Was wir brauchen ist eine offene gesellschaftliche Diskussion über Familie, Elternschaft, Unfruchtbarkeit, biologische und soziale Bande.
Sarah P. hätte den Klageweg gar nicht beschreiten müssen, gäbe es eindeutige Richtlinien wie in den meisten europäischen Ländern, nach denen der Spender von allen verwandtschaftlichen Rechten und Pflichten entbunden ist. Mit Vollendung des 16. bzw. 18. Lebensjahrs hat das Kind Zugang zu den Spenderdaten. Leider gibt es in Deutschland bis heute keine derartige Rechtslage. Und der Mediziner Katzorke hat erst ab 1996 eine lückenlose elektronische Datenerfassung betrieben.
Doch auch die eindeutigste Rechtslage entbindet Eltern nicht von der Verantwortung, mit ihren Spenderkindern über ihre Entstehungsgeschichte zu sprechen.
Hier sind Regenbogenfamilien mit Spenderkindern im Vorteil: Zwei Frauen oder zwei Männer können nun mal kein Kind miteinander zeugen und so können sie ihren Kindern auch nichts verheimlichen. Schließlich ist für eine Familie, die Hilfe von außen braucht, die Samenspende ein wunderbares Geschenk, ohne das es die Familie gar nicht gäbe – welch wertvolle Geschichte zum Thema Schenken und Dankbarkeit! Sie in die Familienidentität einzuweben ist die Aufgabe und Chance aller durch Samenspende entstandenen Familien.
Inseminationskinder aus Regenbogenfamilien wissen alle, wie sie entstanden sind. Manche kennen ihren Erzeuger, manche nicht. Einige finden das schade, für viele ist es kein Thema bzw. nicht von Interesse. Jede Geschichte ist anders, aber eine Grundvoraussetzung eint diese Kinder: Sie sind bei bestem Wissen gezeugt worden – als heiß ersehntes Wunschkind. Und das haben sie mit Inseminationskindern aus Heterofamilien gemeinsam.
Sarah P., die junge Frau, die auf der Suche nach ihrer biologischen Herkunft die Gerichte um Hilfe rief, erfuhr von Thomas Katzorke eine Codenummer. Nach und nach erinnerte sich seine Medizinisch-Technische Assistentin: Der Spender war blond und heißt vielleicht Hubert. Am 6. Februar wird der Prozess fortgesetzt. Ob sich die Identität des Spenders jemals herausfinden lässt, ist unklar. Klar ist, dass neben der fehlenden Kommunikation die mangelhafte rechtliche Situation maßgeblich für diesen Fall verantwortlich ist. Von eindeutigen Fortpflanzungsmedizin-Gesetzen würden auch Regenbogenfamilien profitieren – vorausgesetzt, sie haben endlich uneingeschränkten Zugang dazu. Aber das ist ein anderes Thema.
Nachtrag: Auf Spenderkinder.de schreibt Sarah, die im Vorstand dieses Zusammenschlusses erwachsener Spenderkinder ist, selbst über den Fall. Sie bestätigt unsere Vermutungen, lesenswert.
Nachtrag 2: Das OLG Hamm hat heute entschieden, dass Sarah den Namen ihres Spenders erfahren darf. Mehr hier …
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