Nachmuttertägliche Reflexionen
Am Tag, als meine Tochter geboren wurde, war ich plötzlich nicht mehr nur am Ende der Reihe aus drei Generationen ‚Großmutter, Mutter, Tochter‘ positioniert. Fortan begann ich, viele Situationen aus zwei Perspektiven zu betrachten. Je nachdem, wer im Zentrum der Interaktion stand, nahm ich entweder die Sichtweise der Tochter ein – also die gewohnte – oder die der Mutter – die neue. Oft wechselte ich auch zwischen beiden hin und her. Als ich mehr und mehr in die Rolle einer Mutter hineinwuchs und mich darin beheimatete, merkte ich, wie sehr mich meine eigene Mutter in meinem Bemühen um „richtiges Erziehungsverhalten“ begleitete, nicht als reale Ratgeberin, eher als innere Orientierung, dass ich es ganz anders oder genau so machen wollte. In den ersten Jahren gab es oft „Abbitteversuche“, wenn die alltäglichen Kämpfe um gesunde Ernährung oder Zähneputzen überhand nahmen.
Wie sehr kann ich heute alle Mütter verstehen, die am Ende ihrer Kräfte sind und den Sinn dieser Kämpfe regelmäßig aus den Augen verlieren. Ja, die lieben Kleinen müssen alle ihnen gesetzten Grenzen in Frage stellen, damit sie wachsen können. Und wir Großen müssen ihnen als Fels in der Brandung zuverlässig und fest gegenüberstehen. Irgendwann gewöhnt man sich daran, sich unbeliebt zu machen als eine, die eben nicht nur tröstet und kuschelt, sondern auch eine, die „NEIN“ sagt. Dass Mütter damit ihren Kindern einen großen Gefallen tun, dass sie dafür sorgen, dass Kinder lernen, ein Nein zu akzeptieren, das habe ich erst nach einiger Zeit als Mutter von T. so richtig verstanden. Heute, nachdem meine Mutter schon seit zwei Jahren nicht mehr lebt, danke ich ihr dafür, dass sie mir das Neinsagen beigebracht hat. JA-Sagen macht trotzdem mehr Spaß!
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