Irreführende Zahlen zu Homopaaren aus Baden-Württemberg
Da steht sie nun, die Zahl aus Baden-Württemberg: Nur 6200 gleichgeschlechtliche Paare soll es im Südwesten der Republik geben.
Anlässlich des Aktionsplanes gegen Diskriminierung wurde das dortige Statistische Landesamt aufgefordert, Zahlen zu liefern. Und so wurde diese Zahl veröffentlicht. Aber nicht nur diese. Aus dem Stuttgarter Daten-Report geht außerdem noch hervor, dass es in ganz Deutschland 73.000 gleichgeschlechtliche Paare gibt, davon sind 32.000 verpartnert und 6.000 davon (gut 8%) haben ca. 9.000 Kinder.
Diesen Zahlen steht die klassische 5%-Formel gegenüber, nach der etwa 5% der Bevölkerung lesbisch/schwul lebt – das wären dann 4.000.000 Menschen. 15% davon, also 600.000 müssen wir abziehen, denn das sind Menschen unter 15 Jahren. Für die Rechenübung bleiben 3,4 Mio. übrig.
Laut Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg lebt die Hälfte in einer festen Beziehung, also etwa 1,750.000 Menschen, so kommen wir auf 875.000 Paare (in Worten: achthundertundfünfundsiebzigtausend), denn die Zahl müssen wir ja durch 2 teilen. Die polyamourösen Verbindungen lassen wir bei dieser Berechnung mal außen vor.
Die 875.000 sind sozusagen unsere Basiszahl. Natürlich leben diese Paare nicht alle zusammen, was bei den „offiziellen“ 73.000 der Fall ist. Dennoch:
Hier stehen 73.000 Paaren 875.000 Paare gegenüber.
Wie kommen die Damen und Herren Statistiker_innen zu diesen Zahlen?
Das ist eigentlich ganz einfach. Der Mikrozensus, alle paar Jahre durchgeführt, ermittelt aus repräsentativ ausgewählten Haushalten 1% der Bevölkerung und rechnet anschließend die Zahlen auf die Region bzw. auf das ganze Land hoch.
Auf der exzellent besetzten Regenbogenfamilientagung in Stuttgart (Okt. 2013) wurde der oben erwähnte Aktionsplan gegen Diskriminierung des Landes Baden-Württemberg vorgestellt. Auch das Statistische Landesamt war vertreten. Als die Zahl 6200 fiel, ging ein Raunen durch den Tagungssaal. Wie kommt diese Zahl zustande? Ein Gespräch mit der Fachfrau des Amtes brachte die befürchtete Klärung: Die Zahlen basieren tatsächlich auf den Antworten, die die befragten Menschen sozusagen an der Haustür geben!
Und nachdem eine Teilnahme am Mikrozensus staatsbürgerliche Pflicht ist, verlassen sich die netten und aufgeschlossenen Mitarbeiter_innen darauf, dass das schon alles so stimmen werde.
Es fiel mir schwer, Fassung zu bewahren. Der Staat klingelt an der Tür und die lesbischen und schwulen Bürger_innen erzählen bereitwillig, wie sie leben, weil sie ja seit Jahrzehnten vom Staat suggeriert bekommen, es ist alles in Ordnung, ihr habt keinerlei Diskriminierung zu befürchten.
In dem darauf folgenden Gespräch versuchte ich der Mitarbeiterin vom Statistischen Landesamt zu erklären, warum diese Zahlen nicht stimmen können, berichtete ihr von Studien, die belegen, wieviele Menschen z.B. am Arbeitsplatz nach wie vor nicht out sind und warum viele Paare ihre Beziehung nicht eintragen lassen wollen. Wenn das Interview mit Susanne Baer, der offen lesbischen Verfassungsrichterin, in der Süddeutschen Zeitung (leider nicht online verfügbar) schon publiziert gewesen wäre, in dem sie beschreibt, dass es immer noch Menschen gibt, die sich wegen ihres Lesbischseins weigern, die Hand zu geben oder mit ihr an einem Tisch zu sitzen, dann hätte ich auch davon gesprochen, nur um deutlich zu machen, dass es, gelinde gesagt, mehr als naiv ist, wenn man annimmt, dass sich die meisten Lesben und Schwule an der Tür dem Staat gegenüber outen. Ehrlich gesagt werden das die wenigsten tun.
Denn es ist, historisch gesehen, noch gar nicht so lange her, da hat der Staat Rosa Listen geführt, mit denen Schwule (und weniger Lesben) verfolgt und kriminalisiert wurden.
Und was passiert gerade in Russland oder in der Ukraine – Länder, in denen es Lesben und Schwulen vor zehn Jahren weitaus besser ging als heute? Diese Staaten sind ein Beispiel dafür, wie sich der Wind drehen kann und dass es vielleicht ja doch seinen Sinn hat, als lesbische Frau oder als schwuler Mann ein paar Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, weil man ja nie weiß ….
Dies alles haben die so genannten Betroffenen im Kopf, wenn es an der Tür klingelt. Und dann kommt eine Zahl heraus, mit der Politik gemacht wird, und zwar im Zweifel auch Politik gegen uns.
Die wirklich nette Mitarbeiterin des Statistischen Landesamtes hörte mir mit großen Augen zu und antwortete freundlich: „Ach, so habe ich das alles noch gar nicht betrachtet.“ Schade eigentlich.
Kleine Rechenübung: Selbst bei nur fünf Prozent Lesben und Schwulen kommt Baden-Württemberg (gut 10 Mio. Einwohner_innen, davon 8,5 Mio über 15 Jahre) auf mindestens 425.000 homosexuelle Menschen. Etwa 212.500 davon leben in einer festen Beziehung, d.h. es ist von etwa 106.250 Paaren auszugehen (gegenüber den statistisch angegebenen 6.200)
Wenn in etwa 8% der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften Kinder aufwachsen, dann leben in Baden-Württemberg 8.500 Regenbogenfamilien – sechzehnmal mehr, als uns das Statistische Landesamt weismachen will (8% von 6.300 sind 504 Familien).
Auf ganz Deutschland hochgerechnet: Wenn in 8% von 875.000 gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften Kinder aufwachsen, dann ergibt das 70.000 Regenbogenfamilien. Das Statistische Landesamt räumt uns die Zahl 6.000 ein.
Irgendetwas stimmt doch hier nicht. Das klingt fast so, als ob hier Lesben und Schwulen mal wieder ein Stück ihrer Existenz beraubt werden. Es wäre nicht das erste Mal. Aber da steht sie nun, die Zahl.
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