Tagungsbericht „Familienbildung mit Spendersamen“ Teil 1
Das 1. Erlanger Symposium zur Familienbildung mit Spendersamen, das am 22./23.11.13 stattfand, war ein voller Erfolg. Auf Augenhöhe begegneten sich ca. 120 Personen, die sowohl fachlich als auch persönlich mit dem Thema „Familie durch Samenspende“ beschäftigt sind. RFN war dort und hat viele spannende Interviews mitgebracht.
Doch zunächst gibt es einen Überblick. Und morgen kommt Teil 2!
Eine Tagung zu organisieren, die sich mit einem tabuisierten Thema befasst, ist ein mutiges Unterfangen. So wundert es nicht, dass die Begeisterung groß war, als Dr. Andreas Hammel, Reproduktionsmediziner aus Erlangen und Petra Thorn, Familientherapeutin aus dem hessischen Mörfelden nach Erlangen einluden, um zwei Tage spannende Vorträge zu hören und miteinander ins Gespräch zu kommen.
Zum ersten Mal trafen sich Fachkräfte aus den unterschiedlichsten Professionen – Berater_innen, Mediziner_innen, Jurist_innen und natürlich betroffene Eltern bzw. erwachsene Kinder -, die ein gemeinsamesThema haben: Familien, die mit Hilfe von Spendersamen gegründet werden. Das Ziel der Initiator_innen lag darin, sich auf Augenhöhe zu begegnen und aus der jeweiligen beruflichen oder privaten Perspektive einander die daraus resultierenden Bedürfnisse und Notwendigkeiten mitzuteilen und zu diskutieren.
Während sich die Familientherapeutin Petra Thorn in ihrem Eröffnungsvortrag mit der Frage beschäftigte, wie die Familien das gesellschaftliche Stigma überwinden können, konzentrierte sich Stina, ein erwachsenes Spenderkind, auf das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, dass es keine anonymen Samenspenden mehr geben und Eltern ihre Kinder in jedem Fall so früh wie möglich aufklären sollen. Das Gründungsmitglied des Vereins Spenderkinder hatte selbst erst als Erwachsene erfahren, dass sie mit Hilfe einer anonymen Samenspende gezeugt wurde.
Sehr interessiert wurde den Aussagen von zwei Samenspendern zugehört, die vom Veranstalter Dr. Andreas Hammel auf dem Podium interviewt wurden. Ihre Beweggründe, anderen mit ihrer Samenspende zum Kind zu verhelfen, waren vielfältig und keinesfalls von finanziellen Aspekten geprägt.
Vor einigen Jahren wurde von engagierten Familien der Verein DI-Netz gegründet, ein Zusammenschluss von Eltern, die ihre Familie mit Spendersamen gegründet haben und ihre Kinder frühzeitig aufklären wollen (DI = donogene Insemination). Der Diplompsychologe Ulrich Simon, selbst Mitglied des Netzwerks, trug die Sicht der Eltern auf das Thema vor. Als krönender Abschluss des Tages galt der Festvortrag der ehemaligen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die eigens aus Berlin anreiste und den Handlungsbedarf skizzierte, der im rechtlichen Bereich angesiedelt ist. Dabei wurde deutlich, dass endlich gesetzliche Regelungen getroffen werden müssen, die einerseits Kinder und Eltern schützen und andererseits auch die Spender. Neben der Freistellung von jeglicher Unterhaltspflicht wurde auch ein nationales Spenderregister genannt, um eine einheitliche und zentrale Dokumentation der Spenderdaten für einen Zeitraum von 100 Jahren zu gewährleisten.
Allerdings musste Brigitte Zypries das Publikum in diesen Fragen enttäuschen – bisher sind keine gesetzlichen Regelungen für DI-Familien in Sicht.
Den Spender von jeglicher Unterhaltspflicht freizustellen würde den Kinderwunschpraxen das Restrisiko möglicher Unterhaltszahlungen nehmen. Es ist genau dieser Punkt, der manche Praxis nach wie vor zögern lässt, auch Lesben zu behandeln, denn diese sind ja erst nach erfolgter Stiefkindadoption rechtliche Eltern, wie die Diplompsychologin Dr. Lisa Green in ihrem Vortrag am nächsten Tag ausführte, der die lesbische Familiengründung und den Alltag dieser Familien in all ihren Facetten in den Mittelpunkt stellte. Juristische Aspekte im Zusammenhang mit der Spendersamenbehandlung im lesbischen Kontext erläuterte die Nürnberger Notarin Dr. Claudia Balzer. Es wurde mehr als deutlich, wie komplex das Thema ist und welche Fallstricke damit verbunden sind, weil die Politik und das Recht so hinter der gesellschaftlichen Realität herhinken und es eben für viele dieser Familienmodelle keine Regelungen gibt. Schließlich schloss sich ein Vortrag der emeritierten Professorin Dr. Dagmar Coester-Waltjen an, der sich um familienrechtliche Überlegungen zur Rolle des Samenspenders drehte. Im Anschluss daran stellte der Erlanger Notar Dr. Alexander Martini das Erlanger Notarmodell vor, das die sichere Dokumentation der Spenderunterlagen für 100 Jahre vorsieht und eine Verpflichtung beinhaltet, die Daten gegenüber Dritten offenzulegen, die heute noch nicht beteiligt sind. Der Referent Walter Merricks, Mitbegründer des „Donor Conception Network“, einer Selbsthilfegruppe für Eltern, zeigte uns, dass das Vereinigte Königreich bereits gesetzliche Regelungen geschaffen hat, die das Publikum neidisch werden ließen: Spender sind dort nie unterhaltsverpflichtet, Lesben, die gemeinsam ein Kind bekommen, sind ab der Geburt des Kindes rechtliche Eltern und es gibt ein nationales Spenderregister.
Eine Podiumsdikussion mit Vertreter_innen der verschiedenen Perspektiven rundete das Symposium ab, das von allen Beteiligten als großer Erfolg gewertet wurde.
Das Thema Samenspende im heterosexuellen Kontext berührt zwei Tabus: die männliche Unfruchtbarkeit sowie die Samenspende eines Fremden. Wenn sich Heteroeltern zu einer Behandlung mit Spendersamen entscheiden, haben sie einen langen und meist schweren Prozess hinter sich, um das doppelte Tabu zu überwinden.
Bei lesbischen Familien, denen in der Regel schlicht der Samen fehlt, steckt das Tabu in der Homosexualität. Die immer noch vorherrschende Diskriminierung und die Steine, die der Familiengründung in medizinischer und rechtlicher Hinsicht in den Weg gelegt werden, führen dazu, dass sich Lesben auch sehr intensiv mit der Thematik auseinandersetzen müssen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, was erlaubt ist und was nicht. Während bei der Zeugungsunfähigkeit eine Samenspende Abhilfe schaffen kann, ist die entsprechende Möglichkeit bei weiblicher Unfruchtbarkeit, die Eizellspende, in Deutschland verboten.
Auch wenn bei der Tagung die heterosexuelle Familie im Vordergrund stand, war die lesbische Perspektive durchaus sichtbar. Es lässt sich insgesamt sagen, dass seit Lebenspartnerschaft, Stiefkindadoption und positiver Forschungsergebnisse die Offenheit für lesbische Paare stark gestiegen ist – immerhin sind von den 12 Samenbanken in Deutschland sieben offen für Lesben.
In der Frage der Aufklärung zeigt sich der fundamentale Unterschied: Während in lesbischen Familien zwangsläufig eine große Offenheit bei der Familienentstehungsgeschichte herrscht, ist es völlig unklar, wie viele heterosexuelle Eltern ihren Kindern frühzeitig erklären, wie sie gezeugt wurden. Verständlich wird dies, wenn man sich vor Augen hält, dass früher Ärzte Gefahr liefen, verhaftet zu werden – die Geheimhaltung auf allen Seiten war oberstes Gebot. In der Konsequenz wird deutlich, dass Inseminationskinder, die erst spät erfahren, dass ihr sozialer Vater und ihr leiblicher Vater zwei verschiedenen Personen sind, eine Identitätskrise durchlaufen – das Familiengeheimnis und die späte Offenbarung sind dabei das Problem und nicht die Tatsache, ein Inseminationskind zu sein. Dieses Thema wird weiter in der Diskussion bleiben: Wie wichtig ist die Identität des Spenders? Auf der einen Seite wird damit argumentiert, dass es darauf ankommt, dass die Eltern dem Kind von Anfang an vermitteln, dass es als Wunschkind entstanden ist. Und auf der anderen Seite wird auf das Recht auf Kenntnis der Abstammung gepocht. Dazwischen stehen die Kinder, die ein Recht darauf haben sollten, aufgeklärt zu werden.
Sich für eine anonyme Samenspende zu entscheiden bedeutet meist das Ende einer langen Auseinandersetzung mit dem Kinderwunsch, an dessen Anfang oft die Vorstellung lag, mit einem bekannten Spender eine Familie zu gründen. Doch es gibt nicht viele Männer, die zum sporadischen Kontakt bereit sind, aber auf eine aktive Vaterschaft verzichten und in die Stiefkindadoption einwilligen. Das „Ganz-oder-gar-nicht-Prinzip“ führt dazu, dass viele lesbische Wunscheltern klare Familiengrenzen vorziehen und zur Stärkung der sozialen Mutter den Spender so weit wie möglich draußen haben wollen.
Zwei US-amerikanische Forschungsprojekte von 2003 und 2004 zu Kindern, die via heterologe Insemination mit Samen eines Yes-Spenders gezeugt wurden, der zu einem Kontakt mit dem Kind bereit ist, wenn es 18 Jahre alt ist, kamen zu folgenden Ergebnissen: Die meisten Kinder wissen von Anfang an Bescheid und bezeichnen sich als „positiv neugierig“, es gab keine Unterschiede zwischen den Kindern aus heterosexuellen Familien und denen aus lesbischen Familien. Auf die Frage, warum sich manche Kinder für den Spender interessieren und andere nicht, wurde keine Antwort gefunden, die kindliche Entwicklung und das Eltern-Kind-Verhältnis gaben jedenfalls keinerlei Aufschluss darüber, ob und wie groß das Interesse ist. Von Traumatisierung keine Spur.
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