Schaffen wir das?
Wegen eines grippalen Infekts zwangsweise ruhig gestellt, komme ich mehr – und eigentlich endlich mal richtig – dazu, die beiden Tageszeitungen, die ich abonniert habe, von vorne bis hinten zu lesen. So häufig finde ich es deprimierend, was ich da lese. Die vielen geflüchteten Menschen, die sich in Deutschland oder in den Nachbarländern ein sicheres und besseres Leben erhoffen, die mit ihren wenigen Habseligkeiten erschöpft in einer Erstaufnahmeeinrichtung landen und noch keine Ahnung haben, welch beschwerlicher Weg vor ihnen liegt. Einige sind geflohen , weil sie als Homosexuelle bedroht und verfolgt werden. Und die hier in den Sammelunterkünften weiter drangsaliert werden, weil Homosexualität in so vielen Ländern dieser Welt tabuisiert oder gar strafbar ist – staatlich angefachte homophobe Hetze funktioniert mit klerikaler Unterstützung schnell und effektiv.
Zum Glück gibt es nun zwei Unterkünfte für geflüchtete Homosexuelle, eine in Nürnberg und eine in Berlin. Auch in München wird ein Angebot dieser Art gefordert. Es ist dringend. Es muss Unterkünfte geben, die gleichermaßen für Lesben, Schwule und Transmenschen sicher sind. Hinzu kommt: Die Lesben, die ihre Heimat verlassen mussten, sind häufig unsichtbar und völlig isoliert, wenn sie nicht in der Nähe einer Großstadt leben, in der es ein entsprechendes Angebot für geflüchtete Lesben gibt, wie z.B. in München oder in Berlin. Manchmal haben sie Kinder, die möglicherweise nicht aus einer einvernehmlichen Beziehung stammen.
Wir sind gefragt. Wir, die wir ein Dach über dem Kopf haben und nicht fürchten müssen, unser Land in Kürze wegen unserer Lebensform verlassen zu müssen. Wir sind gefragt, weil wir ohne unser Zutun in ein privilegiertes Leben hineingeboren wurden, so wie Lesben in anderen Ländern ohne ihr Zutun in einer extrem homophoben und gefährlichen Lebensrealität das Licht der Welt erblickt haben.
Sehr viele Menschen engagieren sich bereits. Am Münchner Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) stehen z.B. drei Container, die jeden Abend von 18-24 Uhr besetzt sind. Dort werden diejenigen mit Kleidung und Essen aus der Volxküche versorgt, die per Bus in München ankommen und auf ihre Weiterreisemöglichkeit zu Verwandten warten. Auch ein medizinisches Fachkräfteteam steht zur Erstversorgung bereit. Alles ehrenamtlich tätige Menschen, die aus dem Nichts eine effektiv funktionierende Infrastruktur geschaffen haben.
Oder meine Freundinnen, die sich seit Längerem für ein Frauenflüchtlingswohnprojekt engagieren und auch nach den ersten frustrierenden Erfahrungen weitermachen. Die „ihre Frauen“ unterstützen und fordern. Ein Ehrenamt ist immer auch eine Herausforderung. Aber es lohnt sich.
Trotzdem frage ich mich manchmal: Schaffen wir das, diese vielen Menschen so zu begleiten, dass sie wirklich die Chance haben, sich ein autonomes Leben aufzubauen? Ich habe keine Antworten. Natürlich ist Bildung der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben. Aber so einfach ist das alles nicht.
Wenn ich sehe, wieviel Hass und Vorurteile gegenüber geflüchteten Menschen im Netz wabern, dann frage ich mich, wie das sein kann, dass es in einem Land wie Deutschland solche menschenverachtenden Auswüchse gibt. Und wenn ich sehe, dass unendlich viele Menschen geflüchtete Menschen begleiten und unterstützen, dann bin ich vorsichtig optimistisch. Manchmal auch ein ganz kleines bisschen stolz.
In unserer Nachbarschaft ziehen soeben 150 geflüchtete Menschen in eine Leichtbauhalle. Ich würde gerne Deutschunterricht geben.
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