Gesellschaftlicher Fortschritt …
Es gab einmal eine Bewegung, von deren Existenz Baumanns von nebenan keine Ahnung haben: die politische Lesbenbewegung. Viel war die Rede von Utopie und Vision, von Separatismus und Frauenprojekten, von selbstgeschaffenen Arbeitsplätzen und von der alles überstrahlenden Liebe zwischen und unter Frauen.
Und dann hatten sich die Lesben ihre Arbeitsplätze geschaffen, hatten sich separiert und ihre Projekte florierten und expandierten dank Selbstausbeutung und Staatsknete. Ich spreche übrigens über die Projekte, die damals immer Frauenprojekte hießen und heißen – trotz 80%igem Lesbenanteil. Und die Liebe erstrahlte in den gemeinsamen Schlafzimmern gar überhell.
Die überübernächste Phase (aus Platzgründen überspringe ich einfach zwei Phasen) würde ich “Hinwendung zur gemischtgeschlechtlichen Homo-Debatte” nennen. Also: Was haben Lesben und Schwule gemeinsam? Gibt es neben der geteilten Diskriminierungserfahrung noch irgendetwas, wofür es sich lohnen könnte, von der Separatistin zur “Mit-dem besten-schwulen-Freund-auf-dem-Sofa-Hockerin” zu mutieren?
Ja, da gibt’s was. Mit zunehmendem Alter stellt lesbe nämlich fest, dass sie evtl. gar nicht mehr soo viel Zeit hat, auf den gesellschaftlichen Fortschritt zu warten oder darauf, dass Freiheit und Abenteuer Wirklichkeit werden.
Manch eine entscheidet sich daraufhin, den Weg der Pragmatikerin einzuschlagen. Immer schön die “Vision von der Gerechtigkeit” im Kopf, kämpft sie nun Seite an Seite mit ihrem schwulen Bruder – und wofür? Sie kämpft dafür, genauso unaufregend wie die Heteras/os leben zu dürfen. Sie will nicht mehr den Druck haben, so glamourös leben zu sollen, wie “die” das immer von uns dachten. Wenn wir doch nur halb so viel Sex und Abenteuer leben würden, wie “die” uns immer angedichtet haben!
Doch seit mehr als 10 Jahren ist Schluss mit diesem Stress – endlich Ruhe, endlich paarweise Eintritt in die offiziell legitimierte Beziehung. Plötzlich hat der gesellschaftliche Fortschritt ein ganz anderes Gesicht: Das Gesicht der Eingetragenen Lebenspartnerschaft, auch Homo-Ehe genannt!
Wer hätte das gedacht, dass diese Ehe zweiter Klasse für uns mal eine Trophäe für den Fortschritt darstellen könnte? Und dass ich als Ehegegnerin dieses ominöse Ding nicht nur verteidigt habe sondern auch selbst eingegangen bin, als wir Nachwuchs bekamen? Und warum halte ich diese Fahne auch heute noch hoch?
Weil gesellschaftlicher Fortschritt z. B. heißt, dass Baumanns von nebenan plötzlich auf eine Lesbenhochzeit eingeladen werden, weil sie neben einem Lesbenpaar wohnen und die guten nachbarschaftlichen Beziehungen es nicht zulassen, da nicht hinzugehen. Baumanns müssen darüber reden, was sie dem glücklichen Paar schenken , was sie anziehen und worüber sie sich mit den anderen geladenen Gästen unterhalten könnten. Baumanns lernen ein kleines Stück lesbische Welt kennen.
Die Heten können uns nicht mehr so einfach abschieben: weder in die Schmuddelecken, auf die Travestiebühnen, in die kinderlosen Karriereschubladen noch in die Frisörsalons oder Fußballklubs.
Heute sind wir mitten unter ihnen. Das waren wir zwar schon immer, aber Totschweigen war kinderleicht. Das geht jetzt nicht mehr so einfach. Jetzt müssen die Medien nur noch lernen, dass es nicht Schwulen-Ehe heißt. Sondern, wenn überhaupt Ehe, dann Lesben- und Schwulen-Ehe. Bald gibt es hoffentlich Ehe für alle – für die, die das wollen, oder (aus rechtlichen Gründen) brauchen. Und Baumanns sind auf jeden Fall eingeladen.
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